- Alaca Hüyük und Kültepe: Vorstufen der hethitischen Kunst
- Alaca Hüyük und Kültepe: Vorstufen der hethitischen KunstDie Geschichte des hethitischen Königtums beginnt um 1590— v. Chr. mit Hattusili I. Die Wurzeln der hethitischen Kultur reichen aber sehr viel weiter zurück. Die indoeuropäischen Stämme, aus denen die Hethiter hervorgingen, sind vermutlich zwischen 2300 und 1800 v. Chr. nach Zentralanatolien eingewandert. Da sich während dieser Jahrhunderte kein größerer Bruch in der kulturellen Entwicklung dieser Region erkennen lässt, muss man annehmen, dass sich die Neuankömmlinge schnell der frühbronzezeitlichen Kultur der Ureinwohner angepasst haben. Im nördlichen Teil Zentralanatoliens, dem Kerngebiet des späteren Hethiterreiches, finden sich aus dieser Zeit erstmals reich ausgestattete Gräber, die den Beginn einer stärkeren sozialen Differenzierung der Gesellschaft bezeugen. Vielleicht hängt diese Erscheinung mit der Zuwanderung der Hethiter zusammen, die eine solche Führungsschicht bildeten.Die größte Zahl solcher »Fürsten«-Gräber wurde in Alaca Hüyük entdeckt. Sie enthielten Prunkgefäße aus Gold und Silber, Waffen und reichen Schmuck. Häufig fanden sich aus Bronze gegossene Stier- und Hirschfiguren, auf Zapfen stehend und deshalb wohl ursprünglich als Aufsätze auf Gegenständen aus vergänglichem Material angebracht. Auf der Abdeckung der Grabgrube lagen meist paarweise Köpfe und Vorderbeine von geopferten Rindern. Im Grab darunter kam eine entsprechende Anzahl scheiben- oder rautenförmiger Aufsätze zutage, die am Joch angebracht waren. Offenbar hat man die Toten mit den Zugtieren eines Totenwagens zusammen beigesetzt; von den zugehörigen Wagen haben sich aber keine Reste erhalten. Manche der Jochaufsätze sind in der Mitte mit rundplastischen Tierfiguren ausgestattet; auch hier kommen Stiere und Rinder am häufigsten vor. Alle diese Bildwerke sind in einem strengen Stil gehalten, die Körperformen sind straff modelliert. Aufgelegte Gold- oder Silberbleche und Ornamente aus eingehämmertem Silberdraht betonen die Oberflächen. Stier und Hirsch verkörperten wohl schon in dieser Zeit wichtige Gottheiten: der Stier den Wettergott, der Hirsch den »Schutzgott der Wildflur«, ursprünglich eine Jagdgottheit. Wenn die Scheiben der Aufsätze, wie man annehmen möchte, die Sonne darstellen sollten, dann kann man in ihnen Symbole der höchsten Göttin des vorhethitischen Pantheons, der Sonnengöttin von Arinna, sehen.Auch menschliche Figuren sind in den Gräbern gefunden worden. Manche von ihnen sind noch stark schematisiert und erinnern an die auch sonst im 3. Jahrtausend in Anatolien gebräuchlichen Idole aus Ton oder Stein. Andere dagegen, so vor allem eine weibliche Figur mit Kind aus Horoztepe, zeigen ähnlich wie die Tierfiguren eine Annäherung an das Naturvorbild und eine lebendige, kraftvolle Gestaltung, darin späteren hethitischen Bronzeplastiken vergleichbar.In den ersten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends v. Chr. kam das südliche Inneranatolien dann durch die Aktivitäten assyrischer Kaufleute mit der Welt der städtischen Zivilisationen des Alten Orients in engere Verbindung. Die fremden Händler gründeten im Randbereich einheimischer Fürstensitze eigene Handelsniederlassungen, die sie in ihrer eigenen Sprache als »karum« bezeichneten; in der Forschung hat sich deshalb der Begriff »Karumzeit« für diese Periode eingebürgert. Sie ist durch einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung der beteiligten Städte gekennzeichnet.Die wichtigste Handelsniederlassung lag bei der Stadt Kanesch, deren Überreste in Kültepe bei Kayseri aufgefunden wurden. Hier hat man eine ausgedehnte Palastanlage, Speichergebäude sowie zwei nur in den Fundamenten erhaltene Hallenbauten gefunden, die von den Ausgräbern als Tempel gedeutet werden. Unterhalb des Stadthügels lagen dicht bebaute Wohnviertel mit den Häusern der assyrischen Kaufleute. Auch einheimische Familien wohnten dort. Die Einrichtung dieser Kaufmannshäuser, die dort gefundene Keramik und andere Gebrauchsgegenstände unterscheiden sich nicht von dem Inventar der Häuser, in denen Einheimische wohnten. Die oft sehr elegant geformte Töpferware knüpft in ihrem reichen Formenbestand, in Machart und Dekor an die anatolische Tradition des späten 3. Jahrtausends an, ist aber technisch vervollkommnet. Die hochpolierten, mit rotem Überzug versehenen Gefäße der Karumzeit wurden zum Vorbild für die spätere hethitische Keramik. Ebenfalls aus Ton gefertigt wurden Kultgefäße in Form von Tieren, vor allem Löwen und Antilopen, und Tierkopfbecher. Nicht selten weisen auch andere Gefäße plastische Verzierungen in Form von Tierköpfen, Tier- und Menschenfiguren auf.Neben Kültepe ist Acemhöyük ein weiterer bedeutender Fundort dieser Zeit. An beiden Orten verwendete man außer Ton auch aus Syrien importiertes Elfenbein zur Herstellung von Figuren, bei denen der Einfluss der syrischen Kunst deutlich zu erkennen ist. Aus Acemhöyük kommt auch eine kauernde Sphinx -—zugleich mit dem fremden Material gelangte auch dieses letztlich aus Ägypten stammende Motiv nach Kleinasien. Die Bedeutung dieser Figuren liegt darin, dass in ihnen bereits stilistische Merkmale und ikonographische Einzelheiten der späteren hethitischen Kunst vorgebildet sind.Am deutlichsten lässt sich der Beitrag der assyrischen Kaufleute zur Entwicklung der anatolischen Kunst in der Glyptik, der Steinschneidekunst, erfassen. Entsprechend den Gewohnheiten, die sich in Mesopotamien herausgebildet hatten, dokumentierte man alle Arten von Geschäftsvorfällen. Die in Keilschrift auf Tontafeln aufgezeichneten Urkunden und deren ebenfalls aus Ton bestehenden Umschläge trugen fast stets den Siegelabdruck der an dem Vorgang beteiligten Zeugen. Dabei wurden zunächst ganz überwiegend Rollsiegel verwendet. Viele von ihnen haben die Kaufleute vermutlich aus ihrer Heimat mitgebracht, sie sind in verschiedenen mesopotamischen und syrischen Stilen des frühen 2. Jahrtausends gearbeitet. Gleichzeitig ließen sich aber auch in den kleinasiatischen Städten Steinschneider nieder, die diesen unterschiedlichen Traditionen verpflichtet waren. Unter ihrem Einfluss entstand dann in Kanesch eine einheimische »Schule« mit eigener Formensprache. In der reichen Bilderwelt gerade dieser einheimischen Siegel, die sich deutlich von der Mesopotamiens unterscheidet, spiegeln sich bereits viele Göttervorstellungen wider, die dann in der späteren hethitischen Kunst anzutreffen sind.Anders als in Mesopotamien benutzte man neben Rollsiegeln auch Stempelsiegel. Vor allem im jüngeren Abschnitt der Karumzeit und außerhalb der Stadt Kanesch selbst wurde diese Form des Siegels bevorzugt. Es entstand die kennzeichnende Form des Knaufsiegels mit runder Siegelfläche und kegelförmigem Griff. Neben Motiven, die der einheimischen Gruppe der Rollsiegel-Glyptik entnommen sind, finden sich einzelne Tiere, Tierkampfgruppen und heraldische Kompositionen - eine Formenwelt und ein plastischer Stil, die den Ausgangspunkt für die Entwicklung der späteren hethitischen Siegelkunst darstellen.Die assyrischen Handelskolonien gingen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts v. Chr. zugrunde - etwa 80 Jahre, bevor das hethitische Königtum entstand. Mit ihnen erlosch die Tradition schriftlicher Dokumentation von Handelsgeschäften und damit die des Schreibens überhaupt. Siegel brauchte man allerdings auch für andere Zwecke: Man drückte sie auf Tonklumpen ab, um Gefäße, Beutel, Kästen und Türen gegen unbefugtes Öffnen zu sichern. Funde aus Acemhöyük und Karahüyük bei Konya zeigen, dass man gerade hierfür Stempelsiegel verwendete. Diese Tradition setzte sich über das Ende der Handelskolonien hinaus fort und zumindest ein Teil der in Karahüyük gefundenen Siegelabdrücke scheint in die Zeit zwischen dem Ende der Karumzeit und den Beginn des hethitischen Reiches zu gehören.Prof. Dr. Winfried Orthmann
Universal-Lexikon. 2012.